Studie:

Wie digital ist das Bauwesen in Deutschland?

Produktivität im Baugewerbe bleibt hinter ihren Möglichkeiten.

Christian Thein, Leiter Marketing TGC Group

Christian Thein

Leiter Marketing
TGC Group

Wie groß wäre der Schock, wenn ich Ihnen sage, dass die Baubranche weltweit 600 Milliarden Euro jährlich liegen lässt? Nun, laut einer Studie des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2019)* werden aufgrund nicht ausgeschöpfter Arbeitsproduktivität keine 600 Milliarden Euro, sondern 1,35 Billionen Euro verschwendet! Klar, in Deutschland bliebe nur ein Teil der 1,35 Billionen Euro liegen. Allerdings zeigt die Studie auch, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung und Arbeitsproduktivität im Bauwesen international besonders hinterherhinkt. 


Mein Fazit: Wo kein Wille, da bleibt der alte, beschwerliche Weg. 

Worum geht es in der Studie?

Produktivität wird im Bauwesen nicht ausgeschöpft

Die internationale Baubranche hinkt hinterher

Die von uns betrachtete Studie des BBSR* legt dar, dass das entgangene ökonomische Potenzial in Folge unnötig niedriger Arbeitsproduktivität in der Baubranche jährlich ca. 1,6 Billionen Dollar bzw. 1,35 Billionen Euro entspricht. Dies wiederum entspricht ungefähr 2% der globalen Wirtschaftsleistung pro Jahr. Eine irre Summe!

Bei näherer Betrachtung der Studie zeigt sich, inwiefern Bauunternehmen schon seit Längerem deutlich hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bezüglich der „Produktivitätssteigerung“ zurückbleiben. Es wurde klar ermittelt, dass es sich um kein alleiniges Problem der deutschen Baugewerke, sondern des internationalen Bauwesens handelt. Insgesamt fällt es Bauunternehmen eher schwer, ihre Arbeitsproduktivität zu steigern.

Das deutsche Bauwesen entwickelt sich besonders langsam

Wenn sich die Baubranche insgesamt etwas langsamer entwickelt, dann muss das erst einmal kein Grund zur Sorge sein. Branchen sind enorm unterschiedlich strukturiert und haben unterschiedliche Projektarten. Allerdings gibt es innerhalb der Branche im internationalen Wettbewerb starke Unterschiede.

Die Produktivitätssteigerung im deutschen Baugewerbe ist vergleichsweise gering. Ausschlaggebend hierfür ist der fehlende Fokus auf digitalisierte Abläufe, Organisationen und Tools; so die Studie. Digitalisierungs-maßnahmen konnten bisher in der deutschen Bauwirtschaft sowohl im Vergleich mit anderen Branchen in Deutschland, als auch im internationalen Vergleich unter Bauunternehmen nur wenig Einfluss auf die Steigerung der Produktivität nehmen. Woran liegt das?

So steht die Baubranche zur Digitialisierung

Nur 35,1% der Bauunternehmen geben an, in den vergangenen drei Jahren Digitalisierungsprojekte im Unternehmen durchgeführt zu haben. Demnach ließen knapp zwei Drittel der Unternehmen den „digitalen Hammer“ in den vergangenen Jahren komplett liegen.

Insgesamt wird deutlich, dass viele Unternehmen den Chancen und Herausforderungen sicher nicht abgeneigt sind, sie ihnen in naher Zukunft aber keine zentrale Rolle zusprechen. Allerdings geben auch 44,6% der Baugewerke an, dass sie Digitalisierung bereits in “Projekten” angegangen sind oder “Projekte” derzeit laufen.

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Ein Blick zu den Nachbarn, so machen‘s andere Branchen:

Schaut man sich Vergleichswerte anderer Länder und Branchen an, fällt eine potenzieller Zusammenhang der Defizite hinsichtlich Digitalisierung und Produktivitätssteigerung auf. Was zeigt der direkte Vergleich zu anderen Branchen? Vieles spricht dafür, dass das Baugewerbe bei der Nutzung von digitalen Technologien weniger gut aufgestellt. Zwei Beispiele:

Beim Einsatz von ERP-Software zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen in Deutschland. Mehr als zwei Drittel der drei Vergleichsbranchen verwendeten laut einer McKinsey Studie (2019) ERP-Systeme. Zwei Belege sind in der Grafik oben zu sehen. Im Baugewerbe lag dieser Wert lediglich bei 19,9%! Vermutlich schlägt hier die Nutzung von ERP-Systemen in überwiegend größeren Unternehmen zubuche. Denn in der Bauwirtschaft gibt es überdurchschnittlich viele kleine Unternehmen und dort ist der geringe Einsatz von teuren ERP-Softwarelösungen etwas wenig überraschend. Aber dient die Branchenstruktur zur Ausrede?

Absolut nicht. Die Möglichkeit Rechnungen elektronisch zu versenden, damit sie automatisiert ausgehen und weiterverarbeitet werden können, wird in der Baubranche ebenfalls kaum genutzt. Hier lag das Baugewerbe mit 9,6% jeweils deutlich unter den Vergleichsbranchen. Es wird kaum digital gearbeitet, obwohl die Hürde der Unternehmensgröße kaum eine Rolle spielt. Denn Produkte hierzu sind günstig und können vergleichsweise simpel eingeführt werden. Der Eindruck bleibt: Auch da wo einfach und schnell neue Wege gegangen werden können, um die Arbeitsproduktivität zu steigern, bleibt die Baubranche auf alten, beschwerlichen Pfaden.

Was spricht überhaupt für Digitalisierung im Bauwesen?

Ein prägnantes Beispiel für den Rückstand der Baubranche liefert die Nutzung mobiler Geräte. Eine Telekomstudie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass 89% der Bauunternehmen die Auftragsverarbeitung mittels mobilen Geräten nutzen, diese als effizienter einschätzen. Dort, wo Digitalisierung passiert, steigert sich die Produktivität. Diejenigen, die sie nutzen, sind begeistert und arbeiten produktiver sowie effizienter.

Ein weiter Blick zeigt deutlich, wie sehr die deutsche Bauindustrie hier hinterherhinkt. In Deutschland werden kaum mobile Geräte im Baugewerbe geschäftlich genutzt. Für das Baugewerbe ist dies ein hilfreicher Indikator für den Stand der Digitalisierung, da große Teile der Wertschöpfung außerhalb des Unternehmenssitzes erbracht werden:

Die Studie zeigt hiermit klar: Der offenkundigste Vorteil, mobile Baustellen, wird nicht wahrgenommen. Auch hierfür gibt es Gründe, wie beispielsweise eine vergleichsweise mangelhafte Netzabdeckung in Deutschland. Aber auch dieser Umstand kann mittlerweile simpel gelöst werden, da trotz “Funklöchern” digital gearbeitet werden kann. Daher bleibe ich bei meinem Fazit: Wo kein Wille, da bleibt der beschwerliche Weg.  

Fazit: Wo ein Wille ist, da ist ein effizienterer Weg!

Eins vorweg: Ich bin mir der durchaus komfortablen Lage der Bauwirtschaft in Deutschland bewusst. Die Zahlen sind gut. Das Bauwesen in Deutschland wird vermutlich in absehbarer Zeit weder von China, dem Silicon Valley oder sonst wem abgehangen. In der Baubrache geht es, anders als beispielsweise bei den Automobilzulieferern, derzeit auch nicht um existenzielle Fragen. Aber, und das ist fulminant wichtig, um einen uneinholbaren Rückstand im nationalen Wettbewerb. 

Die Branche muss und wird sich digitalisieren. Denn wer seine Produktivität steigert, der arbeitet nicht nur „schneller“, sondern der steigert seine Kundenzufriedenheit, verringert Aufwände, schafft optimale Maschinenauslastungen und vieles mehr. Wer diese neuen Wege nicht zeitnah in Betracht zieht, der wird sich früher oder später auf dem Irrweg wiederfinden.   

Christian Thein, Leiter Marketing TGC Group
Christian Thein

Leiter Marketing, TGC Group

*Original-Studie: BBSR-Online-Publikation Nr. 19/2019, Beitrag der Digitalisierung zur Produktivität in der Baubranche

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